Lexikon
Im Versicherungswesen werden Sorgfaltspflichten des Versicherungsnehmers als Obliegenheiten bezeichnet. Zu den Obliegenheiten gehören bestimmte Verhaltensvorschriften, die im Versicherungsvertrag festgeschrieben sind. Dabei werden Obliegenheiten, die bereits vorvertraglich beachtet werden müssen, von Obliegenheiten unterschieden, die für die Versicherungslaufzeit gelten.
Die (vorvertragliche) Anzeigepflicht stellt eine Obliegenheit dar, die relevant ist, bevor eine Versicherungspolice abgeschlossen wird: Der Antragsteller muss dem Versicherer sämtliche Gefahrenumstände und Risikofaktoren mitteilen, die beeinflussen können, zu welchen Bedingungen ein Versicherungsvertrag vereinbart wird. Zum Beispiel muss der Versicherungsnehmer vollständige Angabe zu Vorschäden machen, wenn er eine neue Gewerbeversicherung beantragen möchte. Diese Anzeigepflicht ist in § 19 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) festgeschrieben.
Zudem ist ein Versicherungsnehmer vertraglich dazu verpflichtet, vor und während der Vertragsdauer alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahr zu vermeiden, dass ein Versicherungsfall eintritt. Auch muss er nach seinen Möglichkeiten versuchen, Schäden zu mindern. Ein klassisches Beispiel aus dem Konzept einer Inhaltsversicherung verdeutlicht diese Obliegenheit: Der Versicherungsnehmer muss dem Versicherer melden, dass ein zeitweise aufgestelltes Gerüst den Zugang für Einbrecher in das Bürogebäude erleichtert. Weiterhin kann die Versicherung den Versicherten anleiten, außerhalb der Betriebszeiten die Fenster und Rollläden geschlossen zu halten.
Auch wenn ein Schaden eingetreten ist, hat der Versicherungsnehmer nach § 31 VVG spezielle Obliegenheiten zu beachten: Auf Verlangen des Versicherers muss er sämtliche Auskünfte erteilen, die erforderlich sind, um den Versicherungsfall nachzuvollziehen und zu bewerten. Denn diese Informationen werden dafür benötigt, die Leistungspflicht des Versicherers zu bemessen.
Alles in allem kann eine Obliegenheitsverletzung weitreichende Konsequenzen haben: Je nach Verschuldensgrad gefährdet eine Person ihren Versicherungsschutz, wenn sie den Sorgfaltspflichten und Verhaltensvorschriften nicht oder ungenügend nachkommt. Die Versicherungsunternehmen können sich auf verschiedene Paragraphen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) beziehen, um auf Obliegenheitsverletzungen zu reagieren.
Der Versicherer kann den Vertrag mit dem Versicherungsnehmer mit einer einmonatigen Frist kündigen, wenn dieser seine vorvertraglichen Pflichten schuldlos oder einfach fahrlässig verletzt hat. Hat der Versicherte hingegen eine Obliegenheitsverletzung vor Vertragsabschluss grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich begangen, kann der Versicherer gemäß § 19 VVG rückwirkend vom Vertrag zurücktreten. Diese Rücktrittsmöglichkeit besteht für den Versicherer jedoch nur, wenn dieser – hätte er alle relevanten Informationen zur Verfügung gehabt – den Vertrag nicht geschlossen hätte.
Kommt ein Versicherungsnehmer seinen Obliegenheiten während der Vertragslaufzeit nicht nach – zum Beispiel weil er eine Gefahrenerhöhung nicht meldet – ergeben sich für den Versicherer folgende Handlungsmöglichkeiten: Beruht die Verletzung auf einer einfachen Fahrlässigkeit, kann der Versicherer unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. Bei einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verletzung von Obliegenheiten hat der Versicherer die Möglichkeit, den Vertrag fristlos zu kündigen. Des Weiteren kann der Versicherer seine Leistung im Schadensfall verweigern, wenn ein erhöhtes Risiko, das nicht angezeigt wurde, ein Schadensereignis begünstigt hat.
Darüber hinaus ist der Versicherer vollständig von seiner vertraglich vereinbarten Leistungspflicht befreit, wenn nachzuweisen ist, dass der Versicherte im Schadensfall seine Auskunftspflichten grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt. Auch steht dem Versicherer dann die Option offen, den Vertrag fristlos aufzukündigen.
Begeht ein Versicherter eine arglistige Täuschung anstatt seinen Obliegenheiten zu entsprechen, kann der Versicherer den Vertrag anfechten. Das hat wiederum zur Konsequenz, dass der Versicherungsnehmer keinen Anspruch mehr auf seinen Versicherungsschutz hat – auch wenn ein Schadensfall nicht im Zusammenhang mit der Obliegenheitsverletzung steht. So muss der Versicherungsnehmer sämtliche eventuell erhaltene Leistungen zurückerstatten. Auch erhält er bis zur Kündigung bezahlte Beiträge nicht zurück, sondern der Versicherer darf diese einbehalten.